Banner Kategorie Sterbegeld

Obwohl wir alle wissen, dass unser Leben eines Tages endet, nehmen wir das Unabwendbare nicht allzu ernst. Wir sterben dann irgendwann mal, später, viel später und wir tun eine Menge dafür, uns nicht oft daran erinnern zu müssen. Der Gedanke an das Ende ist eher unverbindlicher Natur, so ähnlich wie die Sätze „Wir melden uns“ oder „Wir müssten mal wieder Kaffee trinken gehen“. Der griechische Philosoph Epikur soll einst gesagt haben, die Furcht vor dem Tod sei letztlich unbegründet. „Solange wir leben“, so sein Credo, „ist der Tod nicht da. Ist der Tod aber da, existieren wir nicht mehr.“ Das ist, wie man neidlos anerkennen muss, eine einfache und wasserdichte Argumentation, auf deren Verkehrung Thees Uhlmanns Roman „Sophia, der Tod und ich“ beruht. In ihm treffen Tod und Sterbender unmittelbar aufeinander, während es im Treppenhaus tatsächlich und auch ein bisschen der Stimmung wegen unverschämt friedlich nach Kaffee riecht.

Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum gewährt Aufschub

Als der Tod plötzlich direkt neben der Toilette auf dem Badewannenrand sitzt und dem namenlosen Erzähler des Romans höflich eine Gnadenfrist von drei Minuten einräumt, um sich vom Leben zu verabschieden, kommt das für ihn etwas unverhofft. Er ist um die 40, Altenpfleger, alleinstehend und Fußballfan, auf seinen Biss ins Gras eben eher so mittelmäßig vorbereitet. Seit Jahren schreibt er Postkarten an seinen Sohn Johnny, den er nicht sehen darf, weil die Mutter und längst verflossene Geliebte es ihm verbietet. Er ist verschlossen, bodenständig und etwas wortkarg, aber im Grunde ein gutherziger Typ. Gerade mit seinem Herz soll nun aber etwas nicht in Ordnung sein; deshalb sei er da, gibt der Tod pflichtschuldig zu Protokoll. Kurz bevor die überraschende Reise ins Jenseits beginnen kann, klingelt es wieder an der Wohnungstür. Eigentlich ein Unding, denn gewöhnlich wird der Tod, der eine ausgesprochen menschliche, fast enttäuschend unspektakuläre Erscheinung ist, nicht in der Ausführung seiner Tätigkeiten unterbrochen. Das ist im Ablaufplan für die friedvolle Überführung nach anderswo praktisch nicht vorgesehen. Vor der Tür steht Sophia, die resolute Ex-Freundin des Erzählers, die sich zu einem Besuch bei seiner Mutter hat überreden lassen. Vor Monaten schon, ob er das denn vergessen hätte? Dieser kleine, unerklärliche Riss im Raum-Zeit-Kontinuum erlaubt dem Sterbenden plötzlich einen Aufschub seines Ablebens.

In Gegenwart der Endlichkeit sind neue Anfänge möglich

In der spürbaren Gewissheit seines Lebensendes blüht der sonst zum Phlegma neigende Erzähler merklich auf und lernt, seinen vorauseilenden Gehorsam im Zaum zu halten. Was ist schon ein lausiger Konflikt, wenn man mit dem Tod auf Reisen ist? Gemeinsam mit dem Tod und Sophia besucht er die nahegelegene Eckkneipe und auch seine Mutter in der Provinz. Der Tod ist begeisterungsfähig, ja, hingerissen von automatischen Schiebetüren, verstellbaren Sitzlehnen und vom Leben allgemein, das er gewöhnlich nur in den letzten Zügen kennenlernt. Es ist der Wettlauf gegen die Zeit und die Allgegenwart der Endlichkeit, die neue Anfänge ermöglicht. Die Mutter des Erzählers ist vom Tod, der sich als Morten de Sarg, Sohn einer Sargfabrikantenfamilie aus den Niederlanden, vorstellt, restlos begeistert. Er sei, lobt sie, so ganz anders als alle Freunde, die ihr verschrobener Sohn bisher zuhause angeschleppt hat. Auch das Wiedersehen mit Sophia beseelt die alte Dame hugenottischer Provenienz, die für ihr Leben gern Marmelade einkocht und mit den Worten „Schönschönschön!“ komplexe Gefühlszustände leichthändig auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner bringt. Ein letzter Wunsch des Erzählers ist das Zusammentreffen mit seinem Sohn und nachdem die Umstände – ein fataler Konkurrenzkampf im Jenseits – es so erfordern, machen sich Sophia, der Tod, der Erzähler und seine Mutter gemeinsam im Auto auf dem Weg zu Johnny, der seinen Vater allenfalls von den Postkarten kennt, die er dauernd aus dem Briefkasten fischt. Es wird ein Roadtrip der besonderen Art.

Ein Roman, der Leichtigkeit und Tiefe mühelos zusammenbringt

Thees Uhlmanns Roman ist eine warmherzige und urkomische Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit. Was wäre, wenn der Tod ein netter Typ wäre, vor dem man zwar fliehen, aber mit dem man stattdessen auch ein Bier trinken gehen könnte? Wenn wir die Uhr ticken hören könnten, die Lebenszeit verrinnen fühlen wie Sand durch unsere Hände? Vielleicht müssten wir unser Leben neu bewerten, vielleicht wären uns plötzlich Dinge wichtig, die wir vorher achselzuckend als selbstverständlich abgetan haben. Die Schönheit des Lebens und seine Vergänglichkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Wie begehrenswert wäre es schon, etwas auf immer und ewig zu besitzen?

Thees Uhlmann, langjähriger Sänger der Hamburger Band Tomte, ist es gelungen, einem schwergängigen Thema Leichtigkeit zu verleihen und den Humor zu finden im großen Ernst des Lebens. Es ist ein lakonischer Humor, ein hintersinniger und subtiler Witz, der auf der Schrulligkeit und Liebenswürdigkeit der Protagonisten basiert. Nicht nur der Tod lernt das Leben schätzen, auch dem Erzähler selbst wird schlagartig bewusst, wie viel Zeit er vertrödelt hat, wie viele Chancen vergeben. Was wird er vermissen, wenn er nicht mehr ist? Es spricht für Thees Uhlmann, sich nicht in pathetischem Kitsch zu verlieren, sondern die Bodenständigkeit des Erzählers auch in seinen Rekapitulationen beizubehalten. Da fehlen dann am Ende nicht pathosschwangere Sonnenuntergänge und das Vogelzwitschern an einem Frühlingsmorgen, sondern Bier und Eukalyptusbonbons. Es sind die kleinen Dinge, immer. Obwohl der Tod alles weiß und jeden kennt, weiß er nichts vom Jenseits, nichts von Wiedergeburt, nichts von Himmel oder Hölle. Auch der Tod ist nicht allwissend, er ist bloß Angestellter. Er geleitet seine unfreiwilligen Kunden bloß vor eine Tür, hinter der alles und nichts vor sich gehen könnte.

„Sophia, der Tod und ich“ ist in großen Teilen ein fröhliches, skurriles Stück Literatur, dem der Balanceakt glückt, das Heitere mit dem Tieftraurigen und das Weise mit dem Albernen zu verbinden. Am Ende steht die Erkenntnis: Ein Lächeln erleichtert das schwerste Gepäck.

Sophia Weigand ist Buchbloggerin. In ihrem Blog literatourismus.net bloggt sie regelmäßig über „gute wie schlechte“ Literatur, wie sie selbst sagt.

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